Eine kleine Anekdote vorweg: während der Vorbereitungen für eine Stipendiumsbewerbung überlegt eine junge Künstlerin, Mutter zweier Kinder, ob sie die Geburt der Kinder in dem der Bewerbung zugehörigen Lebenslauf benennen soll. Zwangsläufig ist die Ausstellungstätigkeit der Künstlerin lückenhaft – die Kinder würden jene Lücken mehr als erklären. Die Künstlerin bittet eine befreundete Künstlerin, ebenfalls Mutter, in dieser Angelegenheit um Rat. Nach einigem Überlegen und nach der Konsultation einer weiteren Künstlerin mit Kind, rät erstere der Antragstellerin davon ab, die Kinder im Lebenslauf zu erwähnen – aus denselben Ängsten heraus, die bei der Antragstellerin überhaupt zum Aufkommen der Frage geführt hatten: eine Künstlerin*(1) mit Kindern habe es möglicherweise schwerer, für voll genommen zu werden. Eine vollwertige, produktive Künstlerinnenexistenz werde ihr eventuell nicht zugetraut.
Die beschriebenen Vorbehalte gegenüber Künstlerinnenmüttern thematisiert auch die Autorin Larissa Kikol in dem in der ZEIT vom 1. September 2016 erschienen Artikel „Frauen, wagt mehr Größenwahn“: „Bei Verkaufsgesprächen äußern Sammler, so berichten Galeristen, auch schon mal Bedenken, ob eine Künstlerin auch in Zukunft weitermachen würde – sie könne schließlich noch Kinder bekommen“.
Und Taryn Simon, US-amerikanische Künstlerin und Mutter zweier Kinder, äußert im Gespräch mit dem Journalisten Christoph Amend, dass sie „eigentlich […] nicht über ihre Familie reden [wolle], wir Frauen werden dann immer sofort auf die Rolle der Mutter reduziert.“ („Verhandlungsgesteck“, Christoph Amend, ZEITmagazin Nr. 24/2016, 17. Juni 2016).
Bekommt eine berufstätige Frau Kinder, so hat dies, allen Beteuerungen zum Trotz und allen Studien gemäß, in der Regel relevante Konsequenzen für ihr weiteres Berufsleben im Allgemeinen und für ihren weiteren beruflichen Werdegang im Besonderen.
Bekommt eine Künstlerin Kinder, so führt sie das in eine Situation, die einen Fortlauf der künstlerischen Karriere beinahe gänzlich unmöglich macht. – Setzt man voraus, dass die Künstlerin nicht derart erfolgreich ist, dass sie über die Kunst ihren Lebensunterhalt sichern kann (ein Zustand, den eine Künstlerin, insbesondere im fortpflanzungsrelevanten Alter zwischen Mitte 20 und 40, selten erreicht) und dass der Partner* an ihrer Seite nicht in der Lage ist (und eventuell auch nicht gewillt), den Familienunterhalt gänzlich alleine zu bestreiten. Diese Sachlage ist im Regelfall wohl als Standard zu begreifen.
So gilt es für die Künstlerin mit Kind also nun, neben dem Broterwerb, der Betreuung der Kinder und einem Mindestmaß an gemeinsam erlebtem Familienleben, rege künstlerisch tätig zu sein sowie das karriereförderliche abendliche Networking zu betreiben!
Trotz aller Betreuungsangebote wird eine derart eingespannte Künstlerin nur 5 bis maximal 20 Stunden in der Woche im Atelier verbringen können. Vorausgesetzt, die Kinder sind gesund, die Kita streikt nicht, die eigenen Kräfte spielen mit … Es ist wohl richtig, dass ein solch geringes Pensum künstlerischen Arbeitens weder das Werk im größeren Maßstab voran bringen wird, noch das eigene künstlerische Selbstverständnis fördert oder dem persönlichen Arbeitsdrang gerecht werden kann.
Natürlich, das Leben ist kein Ponyhof und alles hat seinen Preis – aber:
WOLLEN WIR IN EINER GESELLSCHAFT LEBEN, DIE FRAUEN IN DER KUNSTPRODUKTION IHRER MUTTERSCHAFT WEGEN DISQUALIFIZIERT?
WOLLEN WIR AUF DIE KÜNSTLERISCHEN ERZEUGNISSE JENER FRAUEN, DIE SICH DURCH IHRE MUTTERSCHAFT EIN WEITERES ERFAHRUNGSFELD ZUGÄNGLICH GEMACHT HABEN, VERZICHTEN?
IST DIE KUNSTWELT HEUTE NACH WIE VOR DERART MÄNNLICH DOMINERT? AKZEPTIEREN WIR DAS?
UND: WIE KÖNNTEN DIE FORDERUNGEN DER BETRACHTER*INNEN AN DIE SELEKTIONSMECHANISMEN INNERHALB DES KUNSTBETRIEBS LAUTEN?
In den letzten Jahren haben viele jüngere Künstlerinnen Kinder bekommen.
Für sie kommt die Entscheidung zwischen Kind und Kunst nicht mehr infrage. Sie haben gegenteilig den Wunsch, die Brücke zwischen Mutterschaft und Künstlerinnentum zu schlagen.
Als Replik auf diese Realität stehen für uns zwei Ansätze im Vordergrund:
1. Wir wollen die verstaubte Vorstellung, dass es für Künstlerinnen nicht akzeptabel sei Kinder zu haben, aufbrechen und gänzlich ad acta legen. Wir wollen, dass Künstlerinnen mit Kind als legitime Bereicherung der Kunstwelt betrachtet werden!
2. Wir betrachten es als dringend notwendig, dass die Fördermaßnahmen für Künstlerinnen mit Kind(ern) erweitert werden.
Ein großer Teil der für Künstler*innen bestehenden Fördermöglichkeiten kann von Künstlerinnen mit Kind nicht genutzt werden: die die Mehrzahl aller Stipendien ausmachenden Reise- oder Residenzstipendien kommen für Mütter insbesondere kleinerer Kinder in der Regel nicht in Frage, da sie den Familienzusammenhang für einen längeren Zeitraum nicht ohne weiteres verlassen können oder wollen. Die Mitnahme der Kinder oder der Familie wird hier in den wenigsten Fällen unterstützt und gerne bereits in den Bewerbungsbestimmungen ausgeschlossen.
Als Zeichen der Akzeptanz veränderter gesellschaftlicher Realitäten fordern wir deshalb den Ausbau der Fördermöglichkeiten für Künstlerinnen mit einem oder mehreren Kindern zwischen null und vierzehn Jahren – im Rahmen der Schaffung von explizit für Künstlerinnen mit Kind angelegten Stipendien wie auch in der Anpassung von Residenzbedingungen an familiäre Zusammenhänge.
… Für Hamburg, als Gründungssitz der Initiative, könnte dies beispielsweise die Einrichtung eines Jahresstipendiums für Künstlerinnen mit Kind(ern) ähnlich dem bestehenden Hamburger Arbeitsstipendium bedeuten, das es den geförderten Künstlerinnen ermöglicht, sich über den Zeitraum eines Jahres konzentriert der Fortführung der eigenen künstlerischen Arbeit zuzuwenden, ohne neben der Kinderbetreuung noch für ein finanzielles Auskommen sorgen zu müssen … Wir sind gespannt!
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*(1) Wir umfassen im Textzusammenhang mit den Begriffen Künstlerin und Frau das gesamte Spektrum der Personen, die sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig oder zwischen bzw. außerhalb der binären Geschlechtskonstruktionen orientiert fühlen und durch die bewusste Entscheidung für die Sorge und Verantwortung eines Kindes in ein Mutterschaftsverhältnis eingetreten sind und sich folgend mit dem Label „Mutter“ konfrontiert sehen.